Bereits in der Antike, aber auch im Mittelalter, hatte das Johanniskraut seinen festen Platz in der Heilkunde. In der heutigen Zeit hat das Johanniskraut in der Schulmedizin wie auch in der Volksheilkunde wieder eine besondere Bedeutung erlangt. Vielen ist das Johanniskraut als bewährtes Mittel bei Depressionen bekannt. Der Verein NHV Theophrastus trägt diesem besonderen Stellenwert Rechnung und hat dem Johanniskraut die Auszeichnung Heilpflanze des Jahres 2019 verliehen. Konrad Jungnickel, erster Vorsitzender des Vereins, möchte mit dieser Wahl „das Vertrauen der Menschen in die altbewährte Heilpflanze stärken“.
Bereits 2015 war das Echte Johanniskraut „Arzneipflanze des Jahres“. Dieser Titel wurde von der Forschergruppe Klostermedizin der Universität Würzburg vergeben. Im Vordergrund dieser Entscheidung stand die traditionelle als auch aktuelle Bedeutung des Johanniskrauts. Die Begründung der Forschergruppe Klostermedizin für die Auszeichnung lautete wie folgt: „Sowohl ihre Inhaltsstoffe, als auch ihre Anwendungen sind vielfältig. So ist das Johanniskraut eine hochinteressante aber auch etwas „schwierige“ Arzneipflanze mit großem Potenzial. in der Pflanzenkunde.“
Johannes der Täufer als Namensgeber
Der Name des Johanniskrauts lässt sich auf Johannes den Täufer zurückführen. Die Blütezeit der Pflanze beginnt rund um den Johannistag (24. Juni) und reicht bis in den August. Die ausdauernd krautige Pflanze gehört zur Familie der Hartheugewächse und ist ursprünglich in Europa, Westasien und Nordafrika heimisch. Die Pflanze erreicht eine Größe von 15 bis 100 cm. Ein charakteristisches Merkmal für das Johanniskraut ist das Blatt mit zahlreich besetzten Öldrüsen. Dabei handelt es sich um Gewebslücken im Blatt, die mit dem hellen ätherischen Öl gefüllt sind. Daher auch der Beiname „Tüpfel-Johanniskraut“. Ein weiteres charakteristisches Merkmal sind die mühlenartig angeordneten Blütenblätter. In diesen ist das blutrote Hypericin gespeichert, welches beim Zerreiben der Blütenknospe heraustritt.
Inhaltsstoffe des Johanniskrauts
Die wichtigsten Inhaltsstoffe des Echten Johanniskrauts sind das rot färbende Hypericin mit antiviralem Potential, entzündungshemmende Flavonoide, Gerbstoffe, Quercetin und das antibiotisch wirksame Hyperforin. Für die therapeutische Wirksamkeit geht man davon aus, dass ein Zusammenwirken von mehreren Wirkstoffen und Wirkmechanismen verantwortlich ist und nicht ein einzelner isolierter Wirkstoff, wie z. B. das beinhaltete Hypericin. Für die Arzneimittelherstellung sind aber Hypericingehalte von mehr als 0,15 % und hohe Flavonoidgehalte definiert. Die Wirkstoffe befinden sich hauptsächlich in den Blütenknospen, in den geöffneten Blüten und in den noch grünen Blütenkapseln.
Anwendungsbereiche des Johanniskrauts
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bestätigt bei innerlicher Anwendung die Wirksamkeit bei leichten bis mittelschweren Depressionen bzw. mentaler Erschöpfung. Auch bei leichten Verdauungsbeschwerden bestätigt die EMA die positive Wirkung des Johanniskrauts, Bei äußerlicher Verwendung wird die Wirksamkeit bei leichten Hautentzündungen, Sonnenbrand und kleinen Wunden angegeben.
Anwendung bei leichten bis mittelschweren depressiven Verstimmungen
Wissenschaftliche Studien haben den Nachweis erbracht, dass Johanniskraut im Vergleich zu synthetischen Antidepressiva eine gleichwertige Wirksamkeit erreicht. Dies jedoch mit einer deutlich besseren Verträglichkeit.
Neurotransmitter, Botenstoffe im Nervensystem, übertragen Reize und Informationen an die Synapsen im menschlichen Gehirn. Durch die Einnahme von Johanniskrauts steigt die Neurotransmitterzahl in den Synapsen an. Diese bleiben länger und in höherer Zahl verfügbar, was eine bessere Reizübertragung zur Folge hat. Die Erhöhung der verfügbaren Neurotransmitter ist auch das Prinzip klassischer synthetischer Antidepressiva. Daraus resultierend kommt es zu einer stimmungsaufhellenden Wirkung. Die Wirkung tritt jedoch erst nach zwei bis drei Wochen nach Einnahme auf. Dies gilt sowohl für synthetische Antidepressiva als auch für das Johanniskraut.
Zusätzlich steigert das Johanniskraut die nächtliche Ausschüttung von Melatonin. Melatonin ist ein Hormon, das aus Serotonin gebildet wird und maßgeblich am Schlaf-Wach-Rhythmus des menschlichen Organismus beteiligt ist. Durch die gesteigerte Ausschüttung von Melatonin hat die Einnahme von Johanniskraut auch eine schlaffördernde Wirkung.
Hypericin und Hyperforin
Die wohl wichtigsten Wirkstoffe im Johanniskraut sind das Hypericin und das Hyperforin. Ihre Wirkung lässt sich nur in der Gesamtzusammensetzung erklären. Das im Johanniskraut beinhaltete Hypericin fördert die Photosensibilität. Die bereits beschriebene Ausschüttung des Melatonins und die gestiegene Lichtempfindlichkeit können ebenfalls zu einer stimmungsaufhellenden Wirkung beitragen. Deshalb wird das Johanniskraut auch bei Therapien zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Verstimmungen eingesetzt, aber auch bei innerer Unruhe sowie Angstzuständen und Schlafstörungen.
Kaum Nebenwirkungen
Grundsätzlich sind die Nebenwirkungen bei Einnahme des Johanniskrautes eher gering. Diese können in Einzelfällen sein: leichte Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Erregung und Müdigkeit. Die Lichtempfindlichkeit bzw. die Photosensibiltätsreaktion ist die wohl häufigste genannte Nebenwirkung bei der Einnahme von Johanniskraut. Durch die Reaktion erhöht sich die Empfindlichkeit des Körpers auf UV-Licht, was eine erhöhte Sonnenbrandneigung nach sich ziehen kann. Die Nebenwirkung der Photosensibiltätsreaktion entsteht jedoch erst bei einer 20-fachen Überdosierung der empfohlenen Tagesmenge von 900 bis 1500mg. Trotzdem sollte bei bekannter Lichtempfindlichkeit auf ein zu ausgiebiges Sonnenbad verzichtet werden. Grundsätzlich ist aber bei der Einnahme von hochdosierten Johanniskraut immer Rücksprache mit dem Arzt zu halten.
Wechselwirkungen sind zu beachten
Die Einnahme von Johanniskraut hat zwar kaum Nebenwirkungen. Jedoch sind Wechselwirkungen bei der Einnahme mit anderen Medikamenten zu berücksichtigen. So kann es bei der Kombination von Medikamenten zu starken Wirkverlusten kommen oder nach dem Absetzen von Johanniskraut zu einem gefährlichen Anstieg der Wirkung des kombinierten Präparates kommen. Bekannte Wirkverluste treten z. B. bei hormonellen Verhütungsmittel, bei HIV-Medikamenten, bei Arzneistoffen von Antidepressiva aber auch bei Herz-Präparaten auf. Aufgrund dieser Wechselwirkungen wurden 2003 hochdosierte Johanniskraut-Präparate ab einer Tagesdosis von 600mg apothekenpflichtig. Lediglich niedrig dosierte Mittel sowie Tee und Rotöl sind von der Apothekenpflicht ausgenommen.
Rotöl – eine weitere Form der Anwendung von Johanniskraut
Neben den Extrakten und den Pflanzenteilen des Johanniskrauts wird auch das Johanniskrautöl in der Phytotherapie eingesetzt. Wegen seiner charakteristisch roten Färbung wird das Öl des Johanniskrauts auch als Rotöl bezeichnet. Die im Rotöl beinhalteten Inhaltsstoffe wie Flavonoide und Hypericin sollen entzündungshemmend wirken. Bei Hypericin wurden gar antivirlae Effekte nachgewiesen. Sowohl zur inneren als auch äußeren Anwendung ist das Rotöl geeignet. Innerlich kann das Rotöl bei Verdauungsbeschwerden mit entzündlichen Prozessen, wie z. B. Magen-Darmschleinhaut-Entzündungen angewendet werden. Äußerlich wird das Rotöl bei leichten Hautverletzungen, wie z. B. Schnitt- und Schürfwunden, aber auch bei leichten Verbrennungen sowie Sonnenbrand eingesetzt. Des Weiteren wird Rotöl bei Prellungen, Zerrungen, Stauchungen und Muskelschmerzen (Myalgien) verwendet. Auch bei Nervenschmerzen (Neuralgien), Hexenschuss, Ischias, Gürtelrose und rheumatischen Beschwerden verwendet man Rotöl zur Behandlung. Ebenfalls Verwendung findet das Rotöl bei trockener Haut.
Verwendung des Johanniskrauts in der Volksmedizin
Insbesondere Tee oder Tinkturen aus Johanniskraut werden in der Volksmedizin eingesetzt. Das Johanniskraut wird bei Menstruationsbeschwerden und pubertätsbedingten Verstimmungen verwendet. Das Johanniskraut wird zur äußeren Verwendung bei Hexenschuss, Gicht, Rheuma, zur Schmerzlinderung nach Verrenkungen und Verstauchungen verwendet. Da Johanniskraut auch entzündungshemmend wirkt, wird es bei der Wundheilung eingesetzt. Ebenfalls wird das Johanniskraut auch bei Blutergüssen und Gürtelrose verwendet. Das Öl kann zudem bei leichten Hautverletzungen wie Sonnenbrand oder kleineren Verbrennung lindernd eingesetzt werden.
Die Johanniskrautblüten werden mehrere Wochen in Sonnenblumen- oder Olivenöl eingelegt und an einem warmen Ort oder bei Sonneneinstrahlung gelagert. Mit einem Ansatzschnaps werden Einschlafstörungen und innere Unruhe behandelt.
In der Antike war das Johanniskraut eine geschätzte Heilpflanze. Dabei wurden verschiedenartige Johanniskräuter verwendet. Vor allem bei Brandwunden, Ischias, Harnwegs- und Menstruationsbeschwerden fand das Johanniskraut Anwendung. Bereits Hippokrates verwendete Johanniskraut zur Behandlung von verschiedenen Frauenleiden oder zur Behandlung von Fieber, Dioskurides behandelte Ischias mit einem Trank von Johanniskraut und Honigwasser und empfahl bei Brandwunden einen Umschlag auf die verletzte Stelle.
Erst im Mittelalter konzentrierte man sich bei der Behandlung von Beschwerden auf das Echte Johanniskraut. Bereits im 8. Jahrhundert wurde das Johanniskraut im Lorscher Arzneibuch zur Behandlung von „Melancholie“ genannt. Mit der Begrifflichkeit „Melancholie“ waren wohl depressive Verstimmungen gemeint. Als Mittel für Magenschmerzen und Leberschwäche fand das Johanniskraut zu dieser Zeit ebenfalls Verwendung. Hildegard von Bingen, bekannt für Ihre Schriften zur Klostermedizin, sah im Johanniskraut keine nutzbare Wirkung: „Es taugt für das Vieh. Für die Medizin taugt es nicht viel, weil es ein verwildertes und vernachlässigtes Kräutlein ist.“ Für Paracelsus dagegen ist das Johanniskraut eine Universalmedizin. In seinen Werken beschreibt Paracelsus besonders die Wirkung des Johanniskrauts als Wundheilmittel und erkennt den therapeutischen Wert des Johanniskrauts bei psychischen Beschwerden.
Zu Beginn der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert und damit einhergehend mit dem Beginn der modernen Schulmedizin teilte das Johanniskraut das Schicksal vieler Heilpflanzen und geriet in Vergessenheit. Erst am Ende des 20. Jahrhundert mit der Rückbesinnung auf natürliche pflanzliche Heilmittel fand das Johanniskraut wieder seinen festen Platz in der Naturmedizin.
Von der Beliebtheit im Mittelalter zeugen die vielen Namen die je nach Region und medizinischer Anwendung unterschiedlich verwendet wurden. Blutkraut, Frauenkraut, Jesuswundenkraut, Mannskraft.